Zeiten
Meine Mutter wusch Windeln mit der Hand.
Wir Kinder holten die Milch beim Konsum
in einer emaillierten Blechkanne
und schwenkten den Henkel mit hölzernem Griff.
Reis Nudeln und Mehl
wurden hinter der Theke
in braune Papiertüten gefüllt und gewogen.
Man hatte Einkaufs-Netze und Henkel-Taschen dabei,
die man an den Fahrradlenker hängen konnte.
Waren die Absätze schief geschlurft,
brachten wir unser eines Paar Schuhe zum Schuster,
und trugen vorsichtig drei Tage lang die Besseren.
Strümpfe stopfte die Großmutter
beim Radiohören am Abend.
Zu Weihnachten und zum Geburtstag
bekam man neue selbstgestrickte geschenkt.
Einmal ging vom Grundig das magische Auge kaputt,
ein anderes mal musste der Techniker
eine durchgebrannte Röhre austauschen.
Im Keller standen im Dunklen die Kartoffelkiste
und Gitterschubladen für Quitten und Äpfel
von den fünf Bäumen hinterm Haus.
Waren wir erkältet oder bekamen wir Fieber
steckte man uns in’s Bett
und verpasste uns Hals Waden und Leibwickel.
Heiße Milch mit Honig war Pflicht,dazu Lebertrahn.
Zur Nachtruhe hingen unsere Köpfe
über dampfenden Kamillensud-Schüsseln.
In den Ferien ging’s mit der Bahn zu den Großeltern.
Wir fielen in den Teich,fielen vom Kirschbaum
und abends frisch gebadet in den Steppdecken gepolsterten Schlaf auf dem Sofa,
zu Großvaters Klavierspiel bei offenem Fenster.
Als er starb erbte ich seine Taschenuhr.
Der alte Uhrmacher bei uns im Dorf reinigte sie behutsam
hielt sie dann dicht vor seine Lupenbrille
und murmelte:“Das waren Zeiten“.